Mittwoch, 18. Juni 2014

borderline fuckup

hier das erste review zu "overcome".
we like! danke an steff - er lebt den traum!! <3

Im Verlauf eines Lebens macht man ja so manche Experimente. In der Kindheit z.B. versucht man, so lange wie möglich die Luft anzuhalten oder so lange wie möglich nicht zu blinzeln. Später wird das abgelöst durch das Experiment, wieviel Bier man in sich reinschütten kann, ohne zu kotzen, was zugegeben einiges an hartem Training erfordern kann. Experimente dieser Art mögen den Jungs  von Pessimistic Lines aus Stuttgart sicherlich bekannt sein, musikalisch jedoch wird hier nicht lange gefackelt und herumexperimentiert, die Stuttgarter machen auf ihrer Debut-LP mit ihrem rohen, angepissten und wütenden Hardcore genau da weiter, wo sie  bei der No Future-EP aufgehört haben, und das ist auch gut so. Man könnte sagen, dass die Jungs absolut resistent gegen neumodische Trends sind,  so wie z.B. Lindenstraßen-Gung gegen das Erlernen der deutschen Sprache (es ist unglaublich, ich habe das Gefühl, sein Deutsch wird von Folge zu Folge sogar schlechter). Was ich damit eigentlich ausdrücken will: Ich versteh manchmal den Wirbel nicht, den manche PC-Gamer um das neueste hochglanzpolierte Tennis-PC-Derby  mit 3-D-Optik machen, ein rechteckiger Ball und zwei Striche, die sich mit dem Joystick auf und ab bewegen lassen, tun’s doch auch und bringen obendrein den besseren Spaß.
Nun denn, die nach einem Bad Religion-Song benannten Pessimistic Lines bolzen sich präzise durch zwölf Songs, und dafür brauchen sie gerade mal 16½ kurzweilige Minuten. Dass die Jungs sich teils schon Jahrzehnte in der Szene tummeln und schon in etlichen, nicht gerade unbekannten HC/Punk-Kapellen wie z.B. Comecloser, Regret, Chaos Is Me oder No End In Sight mitgewirkt haben und ihre Instrumente mittlerweile fast am Körper festgewachsen sind, hört man an allen Ecken und Enden der fett produzierten Aufnahmen. Gerade am Songwriting lässt sich erkennen, dass hier alte Hasen am Werk sind, denen die ganze Sache sehr viel bedeutet.
Pessimistic Lines klingen sehr nach US-Oldschool Hardcore, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich bei einem “Blinddurchlauf”  tatsächlich eine US-Band hinter den Aufnahmen vermuten. In der Zeit von 1988-1998 war dieser Stil ja äußerst populär in der Szene und hier sind auch die Bands zu verorten, an welche mich der rohe, wütende und angepisste mit viel Punk-Attitüde angereicherte Hardcore der vier Stuttgarter erinnert. Pessimistic Lines tönen nach Youth Crew, Rucksackbier-Straight Edge (hab ich von der Bandcamp-Seite geklaut, haha), einfach nach klassischem, nach vorne gehendem Oldschool-Hardcore mit unterschwelligen Melodien und fetten Gangshouts. Druckvolles Drumming mit viel Crashbecken, die sicher für viel Wind im Proberaum sorgen und schnelle, sauber auf den Punkt gespielte Gitarren, die mich das ein oder andere Mal an Strife zur One Truth-Phase erinnern, ein bollernder Bass und Stimmband-zerstörenden Aggro-Vocals, das ist der Stoff, aus dem gute Hardcorealben gemacht sein sollten. Die Lyrics sind anprangernd und gesellschaftskritisch und beschreiben sehr gut diese Leere in uns, die wir alle kennen und die sich oftmals in Resignation und Wut gegen das System verwandelt, weil man machtlos mit ansehen muss, welche Ungerechtigkeiten auf dieser Welt geschehen. Kleines Songtitel-Zitat gefällig? “Fuck Flag Waving.” Gerade während der kommenden vier Wochen wird dieser Song wahrscheinlich so ewtas wie mein persönlicher Anwärter auf die inoffizielle Hymne der Fußball-WM 2014.
Fans von Ami-Kapellen wie z.B. Count Me Out, American Nightmare, No For An Answer, Floorpunch, Youth Of Today, Nerve Agents oder deutschen HC-Combos wie Miozän oder Just Went Black sollten die Band ruhig mal anchecken, sei es live in irgend ‘nem abgefuckten Juze oder eben auf dem liebevoll gestalteten Tonträger, den es via Cobra Records auf Vinyl und über Mustard Mustache auf Tape gibt. Mein Bemusterungs-Exemplar sieht übrigens echt schick aus, blau gesprenkeltes, durchsichtiges Vinyl verpackt in dickem Karton. Das Albumartwork mit der Zahnradoptik ist auch edel anzusehen. Es ist doch immer wieder schön, eine Platte aufzulegen, das auf stabilen Karton gedruckte Textblatt rauszufischen, darin zu lesen, daran zu schnuppern und die Credits zu durchstöbern und nach dem kurzweiligen Durchlauf zu merken, dass es sich um eine einseitig bespielte LP handelt. Da fällt mir doch noch was Passendes zum Abschluss ein: falls ihr mal wieder von euren vinylophilen Freunden dazu verdonnert werdet, beim Umzug in eine neue Wohnung zu helfen, dann packt euch einfach die Overcome auf die Kopfhörer, damit habt ihr ein wenig Energie, um die vielen Plattenkisten vom 5. Stock (Altbau, kein Aufzug) in den 6. Stock (ebenfalls Altbau, kein Aufzug) zu schleppen. Am Besten gefallen mir das Titelstück Overcome  und das knapp einminütige Carry The Weight Of Consequences.
8,5/10

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