hier das erste review zu "overcome".
we like! danke an steff - er lebt den traum!! <3
Im Verlauf eines Lebens macht man ja so manche Experimente. In der
Kindheit z.B. versucht man, so lange wie möglich die Luft anzuhalten
oder so lange wie möglich nicht zu blinzeln. Später wird das abgelöst
durch das Experiment, wieviel Bier man in sich reinschütten kann, ohne
zu kotzen, was zugegeben einiges an hartem Training erfordern kann.
Experimente dieser Art mögen den Jungs von Pessimistic Lines aus
Stuttgart sicherlich bekannt sein, musikalisch jedoch wird hier nicht
lange gefackelt und herumexperimentiert, die Stuttgarter machen auf
ihrer Debut-LP mit ihrem rohen, angepissten und wütenden Hardcore genau
da weiter, wo sie bei der No Future-EP aufgehört haben, und das ist
auch gut so. Man könnte sagen, dass die Jungs absolut resistent gegen
neumodische Trends sind, so wie z.B. Lindenstraßen-Gung gegen das
Erlernen der deutschen Sprache (es ist unglaublich, ich habe das Gefühl,
sein Deutsch wird von Folge zu Folge sogar schlechter). Was ich damit
eigentlich ausdrücken will: Ich versteh manchmal den Wirbel nicht, den
manche PC-Gamer um das neueste hochglanzpolierte Tennis-PC-Derby mit
3-D-Optik machen, ein rechteckiger Ball und zwei Striche, die sich mit
dem Joystick auf und ab bewegen lassen, tun’s doch auch und bringen
obendrein den besseren Spaß.
Nun denn, die nach einem Bad Religion-Song benannten Pessimistic
Lines bolzen sich präzise durch zwölf Songs, und dafür brauchen sie
gerade mal 16½ kurzweilige Minuten. Dass die Jungs sich teils schon
Jahrzehnte in der Szene tummeln und schon in etlichen, nicht gerade
unbekannten HC/Punk-Kapellen wie z.B. Comecloser, Regret, Chaos Is Me
oder No End In Sight mitgewirkt haben und ihre Instrumente mittlerweile
fast am Körper festgewachsen sind, hört man an allen Ecken und Enden der
fett produzierten Aufnahmen. Gerade am Songwriting lässt sich erkennen,
dass hier alte Hasen am Werk sind, denen die ganze Sache sehr viel
bedeutet.
Pessimistic Lines klingen sehr nach US-Oldschool Hardcore, wenn ich
es nicht besser wüsste, würde ich bei einem “Blinddurchlauf”
tatsächlich eine US-Band hinter den Aufnahmen vermuten. In der Zeit von
1988-1998 war dieser Stil ja äußerst populär in der Szene und hier sind
auch die Bands zu verorten, an welche mich der rohe, wütende und
angepisste mit viel Punk-Attitüde angereicherte Hardcore der vier
Stuttgarter erinnert. Pessimistic Lines tönen nach Youth Crew,
Rucksackbier-Straight Edge (hab ich von der Bandcamp-Seite geklaut,
haha), einfach nach klassischem, nach vorne gehendem Oldschool-Hardcore
mit unterschwelligen Melodien und fetten Gangshouts. Druckvolles
Drumming mit viel Crashbecken, die sicher für viel Wind im Proberaum
sorgen und schnelle, sauber auf den Punkt gespielte Gitarren, die mich
das ein oder andere Mal an Strife zur One Truth-Phase erinnern, ein
bollernder Bass und Stimmband-zerstörenden Aggro-Vocals, das ist der
Stoff, aus dem gute Hardcorealben gemacht sein sollten. Die Lyrics sind
anprangernd und gesellschaftskritisch und beschreiben sehr gut diese
Leere in uns, die wir alle kennen und die sich oftmals in Resignation
und Wut gegen das System verwandelt, weil man machtlos mit ansehen muss,
welche Ungerechtigkeiten auf dieser Welt geschehen. Kleines
Songtitel-Zitat gefällig? “Fuck Flag Waving.” Gerade während der
kommenden vier Wochen wird dieser Song wahrscheinlich so ewtas wie mein
persönlicher Anwärter auf die inoffizielle Hymne der Fußball-WM 2014.
Fans von Ami-Kapellen wie z.B. Count Me Out, American Nightmare, No
For An Answer, Floorpunch, Youth Of Today, Nerve Agents oder deutschen
HC-Combos wie Miozän oder Just Went Black sollten die Band ruhig mal
anchecken, sei es live in irgend ‘nem abgefuckten Juze oder eben auf dem
liebevoll gestalteten Tonträger, den es via Cobra Records auf Vinyl und
über Mustard Mustache auf Tape gibt. Mein Bemusterungs-Exemplar sieht
übrigens echt schick aus, blau gesprenkeltes, durchsichtiges Vinyl
verpackt in dickem Karton. Das Albumartwork mit der Zahnradoptik ist
auch edel anzusehen. Es ist doch immer wieder schön, eine Platte
aufzulegen, das auf stabilen Karton gedruckte Textblatt rauszufischen,
darin zu lesen, daran zu schnuppern und die Credits zu durchstöbern und
nach dem kurzweiligen Durchlauf zu merken, dass es sich um eine
einseitig bespielte LP handelt. Da fällt mir doch noch was Passendes zum
Abschluss ein: falls ihr mal wieder von euren vinylophilen Freunden
dazu verdonnert werdet, beim Umzug in eine neue Wohnung zu helfen, dann
packt euch einfach die Overcome auf die Kopfhörer, damit habt ihr ein
wenig Energie, um die vielen Plattenkisten vom 5. Stock (Altbau, kein
Aufzug) in den 6. Stock (ebenfalls Altbau, kein Aufzug) zu schleppen. Am
Besten gefallen mir das Titelstück Overcome und das knapp einminütige Carry The Weight Of Consequences.
8,5/10
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